Ausstellung „Am Anfang war die Linie“ 

Tilla von Gravenreuth (1909 – 2000)
vom 18. November bis 5. Januar 2024

Vernissage Fr. 17. November, 18 Uhr - Die Einführung in die Werke erfolgt durch Dr. Gertrud Roth-Bojadzhiev
Künstlergespräch Fr. 01. Dezember, 18 Uhr - mit Marian von Gravenreuth über das Schaffen der Künstlerin
Finissage der Ausstellung ist am Fr. 05. Januar 2024, 18 Uhr


Die Zeitlosigkeit des Menschseins
Über die Werke Tilla von Gravenreuths

 

Im Mittelpunkt der Arbeiten von Tilla von Gravenreuth steht das Bild des neuen
Menschen, so wie es zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Reformpädagogik und Bauhaus
erdacht wurde: Der Mensch als Einheit des Leiblichen und Geistigen. Tilla von Gravenreuthwollte keine Portraits schaffen, sondern „alles mit einem Strich erklären“. Mit Filz- und Grafitstiften sowie Aquarellfarbe schuf sie ihre Figuren mit wenigen Konturlinien, ergänzt mit zerfließenden Farbakzente oder schroffen Filzstiftlinien.

Ihr Fokus liegt auf dem Körper, der Bewegung, dem Tanz und der menschlichen
Beziehung – zu sich selbst, zum Partner, innerhalb der Gruppe und in der Lebenswelt. Ihre in reduzierter Formen- und Farbensprache gezeichneten Akte erinnern an Figurinen damaliger Modezeitschriften oder Bühnenbilder. Die Gestalten sind so anmutig wie Ballerinas oder Mannequins und folgen in ihrer Geschlechtslosigkeit dem anthroposophischen Ideal des androgynen Menschen, der sich von der gesellschaftlichen Konvention der vorgegebenen Rollen löst.

Gleichzeitig entsteht in den Arbeiten das Bild einer modernen Frau, die sich nicht
scheu, sondern selbstbewusst, mit durchgestrecktem Rücken und in Papageien-Stola, mit
geöffneten Beinen auf der Decke oder einem Sofa sitzend präsentiert. Tilla von Gravenreuth stellt in ihren Arbeiten eine Verbindung zwischen Anatomie, Psychologie und
Weltanschauung her und verbeugt sich damit vor ihrem Lehrer Oskar Schlemmer, der ihr, wie sie es selbst ausdrückte, „Korrekturen gab“.

Tilla von Gravenreuth wuchs künstlerisch freilich über ihre Studienzeit weit hinaus.
Einige Werke, die sie in den 1980er Jahren, vierzig Jahre nach ihrer Ausbildung in Stuttgart und Berlin, kreierte, zeigen den ungeschönten, direkten Ausdruck des Neo- Expressionismus der starken Posen: Man erschrocken vors Gesicht geschlagene Hände oder abwehrende Gestik, mit kräftigen blauen und roten Farbakzenten.

Was das Spätwerk dieser Künstlerin so spannend macht, ist jedoch nicht nur
die Synthese ihrer künstlerischen Lern- und Arbeitsperioden. Sondern es sind ihre zeitlosen Studien des Menschseins, die zugleich heute, im Zeichen der neuen Identitäts- und Geschlechterdebatte, frappierend aktuell wirken. Olivia Nikel „Die lebendig gesetzte Linie ist das charakteristische Merkmal des zeichnerischen Spätwerks von Tilla von Gravenreuth (1909-2000), die in den 1920er-Jahren in Stuttgart und in Berlin bei Oskar Schlemmer ihre künstlerische Ausbildung erfuhr und in den 1980er- und 1990er-Jahren in Affing, in Bayerisch Schwaben, ein beachtliches Spätwerk schuf,(…).

 

Aus der Begegnung mit der eigenwilligen Formensprache dieser bisher wenig beachteten Künstlerin des letzten Jahrhunderts ergeben sich vielfältige Bezüge zum heutigen Kunstdiskurs; die schnell gezeichneten Aktzeichnungen und Frauenporträts zeigen eine intensive Auseinandersetzung mit Fragen zur Rolle als Frau, als Künstlerin und nicht zuletzt als Mensch, der auch tiefe Einblicke in seine Empfindungen gibt, Erinnerungen und Zeitgeschehnisse verarbeitet. Tilla von Gravenreuths Zeichnungen wirken bis heute frisch, weil sie einerseits zeitlose Studien des Mensch-Seins darstellen, aber andererseits stilistisch durchaus fassbar den Brückenschlag zwischen den erinnerten späten 1920er-Jahren und den damals aktuellen 1980er-Jahren hinbekommen über den Fokus auf die befreiende Geste zeichnerisch eingefangener Weiblichkeit.“
Auszug aus dem Katalog „Tilla von Gravenreuth / Gezeichnete Lebenslinien“

 

 

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